19. Januar 1925 Junkers

Im Kalenderblatt Nr. 12 vom Dezember 2008 brachten wir den 1. Teil des Persienfluges von Walter Mittelholzer. Er und sein Bordmonteur Bissegger waren mit einer Junkers A 20 von Zürich bis Smyrna geflogen. Dort bekamen sie erst nach knapp vier Wochen die Erlaubnis zur Weiterreise:

Flugroute Mittelholzers von Smyrna bis Teheran und Buschir

19. Januar 1925

Im Landflugzeug über den Bosporus
(Smyrna-Konstantinopel in 4 Std. 30 Min.)

„Nach Osten, so weit der Blick reichte, war die Sicht frei, während im Norden eine verdächtige, immer breiter werdende Wolkendecke lagerte. Was sollte ich tun? – trotzdem den Weg nach Osten einschlagen oder gegen den heftigen Gegenwind nach Norden in den Nebel und wahrscheinlich auch Regen hineinfliegen? Sehnsüchtig schaute ich nach den fernen Schneebergen im Osten, dort, ja dort ging mein Weg der Freiheit des Denkens und des Handelns entgegen.

Über Manissa drehte ich nach Norden um. Bald befand ich mich über feiner Wolkendecke, aus der im Nordosten langgezogene hohe Schneeberge; herausschauten. – Von Zeit zu Zeit sah ich in dunkler Tiefe einen Fluß, dann vereinzelte Dörfer; ich konnte mich nicht mehr genau orientieren, sondern wußte nur, aus der zweistündigen Flugzeit und dem Kompaßkurse berechnet, meinen ungefähren Standpunkt; so mußte ich mich entscheiden, durch ein Wolkenloch hinunterzugehen. Steil pfiffen wir aus unserer Höhe von 2500 m in engen Spiralen in die Tiefe; plötzlich umfängt uns dunkle Nacht, wie wir aus der blendenden Lichtfülle oberhalb des Nebelmeeres unter den Wolkenrand kommen. Wild bäumt sich unser Vogel, von wuchtigen Böen geschüttelt, auf und fällt dann wieder kopfabwärts hinunter, daß ich manchmal trotz meinem Anschnallgurt sekundenlang in der Luft hing. Es roch nach Regen in der düsteren Tiefe. Ich war gezwungen, auf 200 m Höhe zu fliegen. Jetzt erkannte ich im unheimlichen Grau rechts von mir einen großen See mit einem zuströmenden Fluß; Nach meiner kleinen Karte mußte es der Abulliona-See sein, vor dem die höheren Berge mit Nebel verhängt waren. So blieb mir nur der Weg nach Nordwesten nach Panderma am Marmarameer offen, das ich nur noch 100 m hoch fliegend, um 14 Uhr 40 Minuten, also nach 2 Stunden 35 Minuten dauerndem Flug von Smyrna aus erreichte. Ich umflog die gebirgige Halbinsel Peranio auf deren Südseite, erreichte über offenes Meer um 15 Uhr 5 Minuten die kahle Marmarainsel und setzte nun, nur noch etwa 80 m hoch über der stürmenden See fliegend, nach Nordwesten über das dort 20 km breite Marmarameer. Bissegger und ich zählten die Sekunden und Minuten, bis wir endlich, gegen den heftigen Gegenwind kämpfend, das europäische Ufer südlich Podosto erreicht hatten. Bei einer Motorpanne wären wir hier mit unserer nun nicht mehr schwimmenden Landmaschine spurlos verschwunden, denn so weit die beschränkte Sicht reichte, war kein Schiff zu erblicken.“

20. Januar 1925

Die Überfliegung des Taurus
(Konstantinopel-Aleppo in 7 Std. 25 Min.)

Der Start in St. Stefano, dem Flugplatz in Konstantinopel, konnte erst um 10 Uhr erfolgen. Die Zurücklegung der ungeheuren Strecke nach Aleppo von 1100 km gelang trotz der Kürze des Tages nahezu vollständig. Nur 25 km von der Stadt entfernt erfolgte nach schwierigem Fluge die Landung.

Ich flog gleich von St. Stefano über den Bosporus hinüber zum asiatischen Ufer, Konstantinopel etwas links lassend. Trotzdem überschauten wir die Stadt, die heute Grau in Grau sich unfreundlich präsentierte. Tief unter den nassen Wolken fliegend, ging es der Anatolischen Bahn entlang nach Daridje, am Golf von Ismid. Dort mußte ich dem Regen vor mir über das Meer ausweichen, und erreichte bei Kara das andere Ufer.

Vor mir versperrten etwa 800 m hohe Berge den Weg, die bis auf 400 m im Nebel steckten. Doch ein enger Paß war nebelfrei, und ich konnte durch dessen Lücke, noch etwa 20 m hoch fliegend hindurchschlüpfen. Bald öffnete sich das breite Tal, in welchem der Isnik-See liegt, den wir um 10 Uhr 50 Minuten passierten.

Mit Befriedigung konstatierte ich, daß wir heute, im Gegensatz zu gestern, flott vorwärts kamen, hatten wir doch den Nordwind im Rücken. Allmählich konnte ich etwas höher steigen, die Wolken lichteten sich und nach einer Stunde 40 Minuten, ungefähr in der Gegend von Eskischehir, verließ ich den böigen Luftraum und stieg rasch auf 2500 m über die Wolken. Im Südosten wuchs nach und nach aus dem riesigen Nebelmeer die langgezogene bläuliche Kette des Taurus empor. Um 15 Uhr erblickte ich hinter den hohen gigantischen Schneebergen im Südwesten das Meer, es zuerst als Nebelmeer taxierend, doch bald nach dem Reflex der Sonne als den Golf von Adalia erkennend. So hatte also meine Hoffnung, daß im Mittelmeer noch schönes Wetter herrschte, mich nicht getäuscht, – das Wagnis des Über-die-Wolken-Fliegens war geglückt.

Mein Weg nach Süden war nun gegeben, ich hatte Konia etwas links liegen gelassen und folgte nun dem langgezogenen, wilden, von mächtigen Sediment-Terrassen umsäumten Geuktal hinunter zum Meere. Ein riesiges Delta von mindestens 20 km Durchmesser hatte der Strom aus Anatolien hier angeschwemmt.

Von Selefke, einem kleinen Dorf oberhalb der Einmündung in das Meer, traversierte ich nun den Golf von Messina, das Städtchen dabei links liegen lassend! Ich schaue nach rückwärts; und konstatiere mit etwas Unbehagen, daß sich die Sonne bald dem Horizont zuneigt. Daraufhin messe ich wieder auf der Karte die Distanz bis Aleppo. Es sind noch etwa 110 km, also Vollgas und die Maschine drücken, damit sie ihre äußerste Geschwindigkeit hergibt. Doch wie um die Wette eilen die dunkelvioletten Schatten an den steilen Berghängen vor mir in die Höhe – ein letztes Glühen der schneebedeckten Bergkämme und die Dämmerung naht mit unheimlicher Geschwindigkeit.

16.48 fliege ich in 2000 m Höhe über dem Städtchen Alexandrette, das wundervoll in einer geschützten Bucht des östlichen Golfes vom Mittelmeer, am Fuße steiler, bis 1800 m hoher Berge gelegen ist. Um 17.10 passierte ich den El Bahra-See, wo es mir plötzlich in den Sinn kommt, einmal meinen Benzinvorrat an Hand der Benzinuhren zu kontrollieren. Mit meiner Taschenlampe beleuchte ich den schon beinahe vollständig dunklen Sitzraum und sehe, daß beide Zeiger der Tankuhren auf Null stehen. Obwohl ich nach meiner Berechnung noch für mindestens eine halbe Stunde Flugzeit Benzin haben muß, bin ich keinen Moment mehr sicher, wann der Motor plötzlich infolge Benzinmangels stehenbleibt. Es ist wohl möglich, daß auf dem langen Fluge eine Leitung undicht geworden, Benzin also verlorengegangen ist.

Vergeblich schaue ich mit scharf suchenden Augen nach vorn, ob sich bald das Lichtmeer von Aleppo bemerkbar mache. Nach meiner Berechnung kann ich höchstens noch 25 km von der Stadt entfernt sein, sonderbar, daß kein Licht in der so klaren Atmosphäre zu erkennen ist. Plötzlich leuchtet es unter mir sonderbar hell auf, große helle Flächen wechseln ab mit schwarzen. Ich gehe im Gleitflug tiefer und erkenne, daß diese hellen Flächen Steinwüsten sind mit den typischen Karbildungen. Mit Halbgas-Motor und im horizontalen Fluge geht es in wenigen Metern darüber, allmählich immer etwas tiefer, bis endlich ein Aufschlag der Räder mir anzeigt, daß ich den Boden touchiert habe. Sofort bremst meine Maschine in dem weichen, bereits angesäten Kornacker ihre Geschwindigkeit ab, und wir stehen still, ohne den geringsten Schaden genommen zu haben. Sternennacht, weit und breit kein Haus. Es war genau 17.25; also volle 7 Stunden 25 Minuten waren wir ununterbrochen geflogen, hatten uns von Schokolade und Smyrnafeigen unterwegs etwas verproviantiert, so daß wir beide einen mächtigen Hunger, noch mehr aber Durst empfanden. Wir entschlossen uns deshalb, ohne langes Besinnen, nach einem warmen Abendbrot, das ich auf einem Meta-Kochapparat in wenigen Minuten aus Berner Alpenmilch und Singer-Zwieback herstellte, die Nacht in unserem Metallvogel zu verbringen. Wir hatten es in unseren Pelzcombinaisons anfänglich ganz schön warm. Bald hörte ich aus der Tiefe des Flugzeugrumpfes das regelmäßige Schnarchen und Sägen Bisseggers.

Am Morgen nach der Notlandung bei Kharaba

24. Januar 1925

Mesopotamien
(Aleppo-Bagdad in 5 Std. 25 Min.)

Es war 8 Uhr 50, als ich meinem Metallvogel Vollgas gab. Doch nur langsam hob er sich diesmal vom weichen Ackerboden ab, in den die Räder tief einsanken. Nach Osten fliegend, ereichte ich über bebautes, fruchtbares Ackerland, dann Sandwüste ohne jede Vegetation in 40 Minuten den Euphrat, der von nun an etwa 700 km weit mein sicherer Begleiter war. Fern im Norden, wo der Himmel blaute, zeigten sich langgezogene Schneeberge. Zur Rechten schweifte der Blick über rotbraune, von Bächen der Regenzeit zerschnittene und fein ziselierte Wüstenplateaus bis hinauf zu der steinigen Hochebene der ungeheuer großen Syrischen Wüste, deren höchste Bergzüge mit Schnee bedeckt waren. Plötzlich werde ich aus meinen Betrachtungen durch einen Handschlag Bisseggers aufgeschreckt, der mir einen beschriebenen Zettel nach vorn streckt: „Motor drosseln, habe vergessen Verbindungsschlauch des Reservetanks in Hauptbehälter zu legen.“ Dann steigt er im rasenden Propellerwind von seinem hinteren Sitz auf den Flügel nach vorn, hält sich mit einer Hand an meinem Kapott fest und öffnet mit der anderen eine kleine Klappe im Flügel, um den Schlauch in den Benzinfüllstutzen zu legen.

Immer den Euphrat links liegen lassend, folge ich der Karawanenroute, die sich deutlich als helles, manchmal verästelndes Band abhebt, nach Rakka, einem kleinen Ruinendorf nördlich des Euphrats. Wegen der tiefliegenden Wolken fliege ich nur noch auf 200 m Höhe und kann nun alle Einzelheiten genau überschauen. Um 10 Uhr 20 passiere ich eine große Karawane mit 24 Kamelen, die von Bagdad heraufkommt. Deutlich erkenne ich von weitem, wie die Tiere unruhig werden, indem sie aus der bis jetzt geraden Kolonne austreten. Ich gehe bis auf etwa 70 m hinunter und sause mit 150 km Geschwindigkeit über die Köpfe der auseinanderspringenden Tiere und Menschen hinweg. Eine willkommene Abwechslung in der trostlosen Sandebene, wo ich beinahe überall hätte landen können. Leider ist eine Benzinleitung etwas undicht geworden, und ich verliere von dem kostbaren Brennstoff, so daß ich mir überlege, zur Behebung der kleinen Störung zu landen. Doch die nächste französische Fliegerstation Deir ez Zor ist nicht mehr weit, und so lande ich dort punkt 11 Uhr außerhalb des kleinen Wüstenstädtchens auf einem riesigen, topfebenen Sandfeld, um sofort zu reparieren.

Nach einer halben Stunde Aufenthalt starteten wir von neuem und flogen, immer die großen Serpentinen des Euphrat schneidend, über die kleinen, nur aus Dreck und Lehm erbauten Araberdörfer am Ufer des schmutzigbraun dahinfließenden Stromes. El Kaim wurde um 12 Uhr 10, Khan Feheme um 12 Uhr 46 überflogen. Dort zählte ich auf dem linken Ufer etwa 200 Araberpferde, die wild umhersprangen, als sie das ungewöhnliche Rauschen unseres Riesenvogels hörten. Tief hängende Wolken zwangen mich bald, wieder auf 100 m Höhe herunterzugehen, dann kamen wir plötzlich in leichten Regen, der jedoch bei Hit, 600 km von Aleppo entfernt, wieder aufhörte, so daß ich auf 500 m steigen konnte.

Bei Ramadi, das schon ganz mit hochstämmigen Dattelpalmen umgeben war, und das ich um 14 Uhr 35 Minuten passierte, zog ein Segler flußaufwärts. Kam er wohl vom Persischen Golf her? Dann leuchtete allmählich etwas Helles rechts vor mir auf, das sich bald als der große, etwa 20 km lange und breite Habbaniyasee entpuppte.

Die Sicht wird immer schlechter; obgleich es nicht mehr regnet, habe ich den Eindruck von Regen. Ich sehe kaum mehr 4 km nach vorwärts und halte mich deshalb genau an das Eisenbahntrasse, das mich ja unfehlbar nach Bagdad bringen muß. Plötzlich taucht ein breiter Fluß, der Tigris, vor mir auf, schon ist er überflogen. Doch ich sehe nichts als Dattelpalmenhaine und kleine Eingeborenenhäuser. Den Flugplatz der Engländer, der nach den Orientierungen der französischen Flieger in Mouslimé ganz nahe von Bagdad, in südöstlicher Richtung gelegen sein muß, finde ich wegen der außerordentlichen Trübung der Luft mit feinem Wüstensand nicht.

In 80 m Höhe überfliege ich nun die große Stadt, die mit ihren Moscheen, mit ihren niederen, gewöhnlich dachlosen Lehmbauten einen überaus fremden, eigenartigen Eindruck macht. Dann biege ich nach vergeblichem Suchen wieder um nach Süden, werfe rasch einen Blick auf den Kompaß, ob ich auch wirklich auf der nordöstlichen Seite des Tigris bin, und beginne aufs neue mit meinem Suchen. Endlich, weit unten, etwa 18 km von Bagdad entfernt, tauchen aus dem gelbbraunen Wüstensand große Flugzeughallen und -schuppen auf, dahinter ein riesengroßes Zelt. Die Engländer haben mich schon längere Zeit entdeckt, und schießen nun zwei Leuchtraketen in die Luft. Ich halte direkt auf die Hangars, von wo aus geschossen wurde, zu und lande, nachdem ich noch einige senkrechte Kurven dem unter mir aufschauenden Militär vordemonstriert hatte, punkt 14 Uhr 45, also nach 5 Stunden und 25 Minuten dauerndem Fluge. – Mit echt englischer, vornehmer Sportsbegeisterung wurden wir begrüßt.

Unsere Maschine hat sich bis heute prachtvoll gehalten; Bissegger, der seine Sache immer aufs beste besorgte, hat noch keine Schraube auswechseln müssen, trotzdem wir nun bereits über 5000 km auf Wasser und Land zurückgelegt haben, wohl das beste Zeugnis für die Güte und Solidität der Junkers-Ganzmetallmaschine.

Die momentan herrschenden Wetter-Verhältnisse im Irak sind heuer abnorm. Seit elf Jahren war es nicht mehr so kalt gewesen wie jetzt, jede Nacht gefriert das Wasser der vielen Bewässerungskanäle, die aus der Wüste ein Paradies gezaubert haben, zu hartem Eis.“

Am 27. Januar 1925 setzten Mittelholzer und Bissegger ihre Flugreise weiter Richtung Teheran fort. Von dort aus unternahmen sie Erkundungsflüge an das Kaspische Meer und den Persischen Golf.

Junkers A 20 in Buschir am Persischen Golf

Am letzten Tag seiner fliegerischen Tätigkeit in Persien überflog Mittelholzer am 10. März 1925 mit seiner kleinen A20 in 5700 Meter Höhe den Demawend.

Auf dem Startplatz in Isfahan vor dem Abflug über den Demawend

Angelika Hofmann

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Zum ersten Teil des Artikels:Mittelholzers Persienflug (Teil 1)

Quellen:

  1. Junkers-Luftverkehr Nachrichtenblatt vom 23. Januar 1925.
  2. Walter Mittelholzer: Persienflug. Zürich, Leipzig, Berlin: Orell Füssli, 1926. – 212 Seiten mit Abb. und 2 Kartenskizzen.
  3. Walter Mittelholzer: Die großen Flugabenteuer. Zürich: Orell Füssli, 1977.

Weiterführende Informationen:

Junkers Flugzeuge: Typ A 20
Junkers Flugzeuge: Post-, Kurier- und Sportflugzeuge

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