3. Dezember 1909 Junkers

Am 3. Dezember 1909 skizzierte der Aachener Hochschulprofessor Hugo Junkers eine Idee, die nach ihrer praktischen Ausführung im Jahre 1915 den Flugzeugbau in eine völlig neue Richtung lenkte.

Wie kam ein „Professor für die Leitung des maschinentechnischen Laboratoriums“, als der der 38jährige „Civilingenieur“ Hugo Junkers am 13. September 1897 an die Technische Hochschule Aachen berufen worden war, dazu, einen Grundstein für den modernen Flugzeugbau zu legen? Und das zu einem Zeitpunkt, als die ersten Wagemutigen in Deutschland es mit Mühe und Not schafften, sich mit ihren abenteuerlichen Konstruktionen gerade mal ein paar Meter in die Luft zu erheben und froh waren über jede Minute, die sie sich dort hielten?

Seine Lebensaufgabe sah Junkers im Jahre 1909 keineswegs darin, über die technische Eroberung des Luftraumes nachzudenken. Im Mittelpunkt seines Interesses stand die Verwirklichung des Gegenkolben-Dieselmotors, für den er zwei Jahre zuvor ein Patent erhalten hatte. Zur praktischen Umsetzung dieses Patentes hatte er sich in einer ehemaligen Maschinenhalle in der Aachener Königstraße eine private Versuchsanstalt eingerichtet, die er mit den Einnahmen aus seiner Dessauer Badeofenfabrik finanzierte.

Diese private Versuchsanstalt weckte auch das Interesse seines Kollegen Reissner. Professor Hans Reissner war an der Hochschule für das Lehrgebiet Technische Mechanik zuständig und interessierte sich lebhaft für das Flugproblem. Er hatte sich im Sommer 1907 in Paris bei dem gerade gegründeten ersten europäischen Flugzeugbau-Unternehmen der Gebrüder Voisin nach seinen Entwürfen einen Doppeldecker bauen lassen, mit dem er aerodynamische Versuche anstellen wollte. Da aber weder Reissner noch die Gebrüder Voisin ausreichende Erfahrungen im Bau von Motorflugzeugen hatten, war der Reissner’sche Apparat nicht flugfähig und für Umbauarbeiten bei Voisin fehlte Reissner das Geld. In dieser Situation fiel ihm die Versuchsanstalt seines Kollegen Junkers ein. Dort könnte sein Flieger untergestellt, repariert und mit Hilfe von Versuchen und Umbauarbeiten bis zur Flugfähigkeit gebracht werden. Zu diesem Zweck bot er Junkers im Oktober 1907 eine Zusammenarbeit auf flugtechnischem Gebiet an. Die Anschubfinanzierung des Unternehmens sollte Junkers übernehmen, später sollten die Kosten geteilt werden.
Professor Junkers kam das Angebot zu diesem Zeitpunkt nicht ungelegen. Auch ihm war die Bedeutung des neuen Forschungsgebietes Aerodynamik bewusst, jedoch hatte ihm bisher Zeit und Geld gefehlt, sich mit der Materie ausgiebig zu beschäftigen. Inzwischen aber habe er sich „mit vieler Mühe eine feste Existenz verschafft“, die es ihm erlauben würde, auf das Angebot einzugehen, ließ er Reissner wissen1. Im November 1907 ließen sie von einem Rechtsanwalt einen Vertrag aufsetzen, in dem Rechte und Pflichten niedergelegt wurden und begannen im gleichen Monat mit ihren aerodynamischen Versuchen.

In den Anfangsjahre des Motorfluges war man der Auffassung, dass Motor und Tragflächen dem Flugzeug soviel Auftrieb geben müssen, dass das Eigengewicht des Flugzeuges überwunden werden konnte. Bei der damals verfügbaren Motorkraft lag der Gedanke nahe, dieses Eigengewicht so gering wie möglich zu halten. Man verwendete deshalb als Baumaterial ein Gerippe aus leichtem Balsaholz, das mit Stoff überzogen wurde. Damit die Flügel im Flug nicht wegknickten, wurden sie mit Spanndrähten stabilisiert.

Auch bei den beiden Aachener Hochschulprofessoren war die Gestaltung der Tragflächen ein heißes Diskussionsthema. Im Gegensatz zu vielen anderen Aviatikern der damaligen Zeit waren beide jedoch davon überzeugt, dass der Luftwiderstand eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte.

Mit Hilfe von kleinen Modellen und einem Rundlaufapparat wollte man die Form der Tragfläche mit dem geringsten Luftwiderstand herausfinden. Reissner kam dabei zu der Erkenntnis, dass Tragflächen aus dünnem Wellblech der Luft weniger Widerstand boten als die bisher verwendeten Holz-Stoff-Konstruktionen, da sie formstabil waren und keine besondere Versteifungen benötigten. Diese Erkenntnis ließ er sich am 5. November 1908 patentieren2.
Technisch umgesetzt werden sollte das Patent bereits im darauffolgenden Jahr. Nachdem der Doppeldecker bei Flugversuchen mehrmals zu Bruch gegangen war, entschieden sich Reissner und Junkers im Herbst 1909 für eine völlige Neukonstruktion eines Eindeckers aus Stahlrohren mit Wellblechtragflächen.

Auf einer Bahnfahrt von Aachen nach Berlin Mitte November 1909 diskutierten Junkers und Reissner die praktische Ausführung der Wellblechtragflächen. Da sie bisher keine Firma gefunden hatten, die Wellbleche aus Aluminium liefern konnten, wollte Junkers in seiner Badeofenfabrik „Junkers & Co.“ selbst Walzversuche machen lassen.
Beim Nachdenken über die Tragflächengestaltung des neuen Eindeckers stellte sich Junkers die Frage, ob Reissner wirklich die günstigste Form gefunden habe. War mit den dünnen und eigenstabilen Tragflächen das Ziel des geringsten Luftwiderstandes erreicht? Reichte der Auftrieb dieser Tragflächen aus, um divh mit der damals verfügbaren geringen Motorkraft von etwa 70 PS mit dem Apparat in die Luft zu erheben?

Reissner-Eindecker aus dem Jahre 1910

Bei seinen Überlegungen kam Junkers zu dem Schluss, dass Reissner seinen Eindecker zu sehr nach statischen Gesichtspunkten konstruiert und das Problem des geringsten Luftwiderstandes nicht vollständig gelöst hatte. Vor allem störte ihn, dass der Motor dem freien Luftstrom ausgesetzt war. Eine Stabilität des Flügels war seiner Ansicht nach auch zu erreichen, wenn man die obere und untere Tragfläche eines Doppeldeckers miteinander verbinden und zu einem Hohlraum ausbilden würde. In diesen Hohlraum könnte man den Motor unterbringen.

Dem stand aber entgegen, dass die Unterbringung des Motors in den Tragflächen zu einem reichlich dicken Flügel führen würde. Würde das nicht wiederum alle bisherigen Erkenntnisse über den Haufen werfen, dass Flügel möglichst dünn sein müssen?

In der Literatur fand Junkers Berichte der 1907 von Ludwig Prandtl in Göttingen gegründeten „Modellversuchsanstalt für Aerodynamik“ über inzwischen gemachte Windkanalversuche. Auch der Erbauer des Pariser Eiffelturms Gustave Eiffel hatte Untersuchungen zum Strömungswiderstand von rechteckigen und ovalen Platten gemacht. Das Ergebnis dieser Versuche ließ ihn hoffen, dass ein dicker Flügel zumindest nicht extrem mehr Luftwiderstand als ein dünner erzeugen würde.

Auch ich hatte die Idee, daß man mit einem dünnen Flügel die besten Wirkungen bezüglich Auftrieb und Widerstand erziele„, bekannte er in einem Vortrag vor der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt am 10. Dezember 1919 in Berlin, „und ich hätte wohl kaum den Mut gehabt, an solche dicken Flügel mit einiger Aussicht auf Erfolg heranzugehen, wenn nicht schon damals hochinteressante Ergebnisse von Göttinger und Eiffelschen Versuchen vorgelegen hätten, die zeigten, daß der Widerstand des Körpers in der Luft durchaus nicht in erster Linie von dem Querschnitt senkrecht zur Luftströmung abhängt.3

Ein solch dicker Flügel hatte sein Gewicht und würde wahrscheinlich mit einem Motor nicht auskommen, dachte er sich und skizzierte ein zweimotoriges Flugzeug:

Bei dem Gedanken an die Unterbringung der Motoren im Flügel blieb er nicht stehen. Wenn man die Tragflächen zu Hohlräumen ausbilden würde, könnte man gleichzeitig ein Maximum an Auftrieb erzeugen. In diese Hohlräume könnte man auch gleich die Piloten und Passagiere und alle nicht Auftrieb erzeugenden Konstruktionselemente wie Holme, Stiele, Spannseile und Lasten unterbringen. Damit der Flügel nicht zu dick würde, brauchte er dementsprechende Ausbuchtungen.

Zwischen diese Zeichnungen schrieb er:

„Patent über eine körperliche statt flächigeGestaltung der Tragflächen.

  1. Schaffung eines großen Widerstandsmomentes der Tragflächen gegen vertikal und auf Verdrehung wirkende Angriffsmomente, indem die beiden durch Gurtungen in geeigneter Weise zu verbindenden Flächen einen „Träger“ bilden.
  2. Schaffung eines Hohlraumes zur Aufnahme von mitzuführenden Gegenständen (Maschinen, Behältern, Nutzlasten, Personen usw.) zum Zweck der möglichsten Verringerung des Luftwiderstandes unter gleichzeitiger Ausnutzung der bedeckenden Flächen zum Heben (d. h. als Tragflächen).Die Tragflächen erhalten zu dem Zweck eine etwa fischförmige Gestalt. Um an einzelnen Stellen des Hohlraumes besonders hohe Körper aufnehmen zu können, ohne den Hohlraum im ganzen den Höhendimensionen dieser Körper entsprechend zu gestalten, können an diesen Stellen Ausbauten angebracht werden, welche sich ebenfalls entsprechend den Forderungen kleinsten Widerstands bei größter Tragkraft und geringstem Gewicht zu gestalten sind.“

Diese Ideenskizze reichte er an seinen Oberingenieur Wergien weiter, der am 11. Dezember 1909 daraus folgende Patentansprüche formulierte:

Ansprüche:

1. Tragflächen für Flugapparate, dadurch gekennzeichnet, dass dieselben als Hohlräume ausgebildet werden.

2. Tragflächen für Flugmaschinen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Flächen infolge ihrer körperlichen Gestaltung in sich versteift sind und als Träger wirken.

3. Tragflächen für Flugmaschinen nach Anspruch 1 und 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Hohlräume der Tragflächen so ausgebildet sind, daß sie zur Aufnahme von Personen und Gegenständen (Maschinen, Behältern, Betriebsstoffen, Nutzlasten) benutzt werden können.4

Zeichnung zum Entwurf des Gleitfliegerpatentes vom 11. Dez. 1910

Mit dieser Fassung war Junkers nicht ganz einverstanden. Auf der Bahnfahrt zum Sanatorium „Weißer Hirsch“ in Dresden am 28. Dezember 1909 überdachte er den Patententwurf noch einmal und schrieb in sein Notizbuch:

„Fliegerpatent. (körperliche Tragflächen).
Bei den bisherigen Fliegern trennt man die Tragflächen von den mitzuführenden Gegenständen. Die vorliegende Erfindung bezweckt /oder besteht darin/, daß die mitzuführenden Gegenstände so gestaltet, resp. in solcher Weise mit Oberflächen bedeckt werden, daß sie möglichst wenig Widerstand bieten und gleichzeitig die oberen Flächen als Tragflächen ausgenützt werden.

In weiterer Verfolgung dieses Prinzips kann man die üblichen dünnen Tragflächen selbst so gestalten, daß sie neben der Funktion des Tragens auch die Verringerung des Luftwiderstandes der körperlichen Gegenstände übernehmen. Die Verbindung dieser beiden Aufgaben führt zu einer hohlen Gestalt von etwa fischförmigem Querschnitt, deren Form nach den jeweils maßgebenden Einflüssen (u.a. Luftreibung, Geschwindigkeit..,) und auf Grund von Versuchen in bekannter Weise leicht zu ermitteln ist.

Die doppelflächige Form der Tragflügel gestattet zugleich, die Flächen durch Ausbildung zu Trägern zur Aufnahme und Übertragung von Kräften geeignet zu machen und dadurch das zur Versteifung der Tragflächen übliche Gitterwerk entweder entbehrlich zu machen oder doch dasselbe in die körperlichen Tragflächen hinein zu verlegen und dadurch den Widerstand, den derselbe dem Durchgang der Luft entgegensetzt, zu vermindern.

An geeigneter Stelle ist noch anzuführen:

1) daß die Verringerung des Luftwiderstands umso wichtiger ist, je höher die Geschwindigkeit sein soll, auch die Höhenfestigkeit, Widerstandsfähigkeit der körperlichen Tragflächen gegen den Winddruck ist von umso größerer Bedeutung, je höher die Geschwindigkeit ist, welche erzielt werden soll.

2) daß der Widerstand der körperlichen Flächen nicht viel größer ist als derjenige der üblichen einfachen.“5

Nach seiner Rückkehr aus Dresden wurde dann am 29. Januar 1910 an das Patentamt Berlin folgende Fassung eingereicht:

„Patentansprüche

  1. Gleitflieger, dadurch gekennzeichnet, daß zur Aufnahme von nicht Auftrieb erzeugenden Teilen (Maschinen, Behältern, Konstruktionsteilen) sowie von Personen und Nutzlasten Hohlkörper angebracht sind, deren Wandungen als Auftrieb erzeugende Gleitflächen mit geringem Luftwiderstand ausgebildet sind.
  2. Gleitflieger nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Gleitflächen des Fliegers oder Teile derselben als zur Aufnahme von Konstruktionsteilen, Personen, Nutzlasten dienende Hohlkörper ausgebildet sind.
  3. Gleitflieger nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die hohlen Gleitflächen als selbständige zur Aufnahme von Kräften und Momenten geeignete Träger (freitragend) ausgebildet sind.“6
Zeichnung zum eingereichten Patent vom 29. Jan. 1910

In diesem eingereichten Patent wurde die von Wergien verwendete Bezeichnung „Tragflächen“ durch „Gleitflieger“ ersetzt, offensichtlich wollte man damit den Patentanspruch auch auf nichtmotorisierte Flugzeuge ausdehnen. Erkenntlich ist das auch aus der hinzugefügten Zeichnung Fig. 3.

Die Patentansprüche wurden mehrmals aufgrund von Einsprüchen durch die Vorprüfer abgelehnt, durch Junkers entsprechend abgeändert und neu eingereicht. Die Idee, dass Motoren und Personen in als Hohlkörpern ausgebildeten Tragflächen untergebracht werden können, stellte sich als nicht so neu heraus, auch die eingebauchte (konkave) Form der Tragflächenunterseite sei bekannt und selbsttragende Gitterträgerverbände nach Anspruch 3 gäbe es bereits bei einem Antoinette-Flugzeug7, wurde Junkers entgegengehalten. Der für Patentsachen zuständige Oberingenieur Wergien erklärte dem Patentamt immer wieder geduldig, dass das Neue der Erfindung die stromlinienförmige Gestalt des Hohlkörpers sei, die selbst Auftrieb erzeugen konnte:„Nicht die Umhüllung an sich, auch nicht eine solche Umhüllung, welche geeignet ist, den Luftwiderstand der umschlossenen Teile zu vermindern, wird als neu beansprucht, sondern eine solche Umhüllung, welche geeignet ist, Auftrieb zu erzeugen. Eine derartige Umhüllung darf sogar und wird vielfach auch mehrLuftwiderstand besitzen als die umschlossenen Teile für sich, aber nicht in zweckloser Weise, vielmehr unter Vermehrung des Auftriebes und unter Verbesserung des Verhältnisses von Auftrieb zu Widerstand, worauf es allein ankommt. Die Erzielung dieser Vorteile hat zunächst mit der Gestaltung der Hauptflügel gar nichts zu tun; letztere können ganz beliebig gestaltet sein.“8

Zweieinhalb Jahre nach der Einreichung erklärte sich das Kaiserliche Patentamt endlich zur Bekanntgabe des Patentes bereit, forderte aber noch einige Änderungen:

„Die am 31. Januar 1910 eingegangene Patentanmeldung des Professor Hugo Junkers in Aachen, Frankenburg, wird bekannt gemacht werden, wenn Anmelder sich innerhalb zwei Wochen mit den noch vorgenommenen Änderungen der Unterlagen einverstanden erklärt und die Anlagen (Beschreibung in Urschrift, Patentansprüche in Reinschrift) zurückreicht.

Der Anspruch 1 ist zur Vermeidung einer unnötigen Beschränkung in zwei Ansprüche zerlegt worden; Anspruch 3 ist gemäß Eventualantrag gestrichen worden.

Die Bekanntmachung wird alsdann erfolgen in der Klasse 77 h mit der Bezeichnung: „Gleitflieger mit zur Aufnahme von nicht Auftrieb erzeugenden Teilen dienenden Hohlkörpern“ und zwar sogleich, da ein Antrag auf Aussetzung nicht vorliegt.“

Die endgültigen Patentansprüche lauteten dann:

  1. Gleitflieger mit zur Aufnahme von nicht Auftrieb erzeugenden Teilen dienenden Hohlkörpern, dadurch gekennzeichnet, daß der vertikale Längsschnitt der Hohlkörper die bekannte, für eine Tragfläche günstigste, geschweifte, unten eingebauchte Keulenform, mit dem dickeren Teile vorn, erhält.
  2. Gleitflieger nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Hohlkörper eine große Ausdehnung quer zur Fahrtrichtung durch seitlichen Anschluß an Tragflächen erhält, so daß der seitliche Abfluß der Luft verringert wird.
  3. Gleitflieger nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Gleitflächen des Fliegers oder Teile derselben als zur Aufnahme von Konstruktionsteilen, Personen, Nutzlasten dienende Hohlkörper ausgebildet sind.9

Später wurde dieses Patent auch in den Junkerswerken als Nurflügel-Patent bezeichnet, was jedoch so nicht stimmt. „In der Patentbeschreibung und -zeichnung ist das neue System nur soweit erklärt und angedeutet, wie es für die Zwecke der Patentierung notwendig war ohne konstruktive Durcharbeitung„, erklärte Prof. Junkers in seinem Vortrag vom Dezember 1919. Patentiert war nur die Grundidee, „daß man nicht nur möglichst alle Teile mit einer Hülle in Stromlinienform umkleiden, sondern daß man diese Umhüllungen zu Hohlräumen ausbilden soll, welche bei möglichst geringem Widerstand zugleich ein Maximum an Auftrieb erzeugen … Diese Grundidee ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil sie zeigt, wie höchste Wirtschaftlichkeit des Flugzeuges als Transportmittel am besten erreicht wird.

Dass Junkers am Ende aber ein Nurflügelflugzeug als Idealzustand vorgeschwebt haben könnte, geht aus dem schon erwähnten Schreiben von Wergien an das Patentamt hervor: „Die mit stetigen Übergängen an die Auftrieb erzeugende Umhüllung anschließenden Haupttragflächen werden soweit ausgehöhlt, daß sie selbst zur Aufnahme von Gegenständen usw., die an sich keinen Auftrieb erzeugen können, nutzbar gemacht werden. Die Haupttragflächen sind damit gewissermaßen selbst ein Teil der Auftrieb erzeugenden Umhüllung geworden, oder im extremen Falle, sie ersetzen die Umhüllung ganz. Dieses so Schritt für Schritt systematisch immer weitergehende Hineinverlegen möglichst allernicht Auftrieb erzeugendenGegenstände in Auftrieb erzeugende Hüllen, und die damit erzielte fortschreitende Verbesserung des Verhältnisses Auftrieb : Widerstand bis zur äussersten überhaupt möglichen Grenze kennzeichnet also die Erfindung.“

Auch Junkers war 1920 der Auffassung, dass sich die Entwicklung in Richtung Nurflügelflugzeug bewegen werde. Seine aerodynamischen Versuche, die er später im eigenen Windkanal durchführte, hätten ergeben, „daß der Widerstand, und also auch die Transport- oder Frachtarbeit je km, beim Flugzeug von der Geschwindigkeit unabhängig sind. Dies trifft natürlich nur für ein Idealflugzeug zu, welches keine „schädlichen Widerstände“ aufweist, sondern nur aus Tragfläche besteht. Je größer die Geschwindigkeit wird, um so kleinere Flügel sind zum Tragen einer bestimmten Last ausreichend, so daß der Widerstand eines solchen Flugzeuges, für alle Geschwindigkeiten, denselben, nur vom Flugzeuggewicht abhängigen Wert behält. In Wirklichkeit wird sich ein derartiges Idealflugzeug wohl nie ganz erreichen lassen, jedoch wird m. E. die Weiterentwicklung des Flugzeugbaues sich in dieser Richtung bewegen, so daß wir in absehbarer Zeit dem Ideal ziemlich nahekommen werden.“

Ursprünglich hatte Junkers keineswegs vor, selbst ein Flugzeug nach diesem Patent zu bauen. Nach der Patenterteilung verhandelte über ein Jahr lang mit dem Flugzeugfabrikanten Rumpler über eine Zusammenarbeit bei der technischen Umsetzung des Patentes, sie konnten sich jedoch nicht einigen, wer bei dieser Zusammenarbeit das Sagen hat: „Wenn ich mein Patent unter Verzicht auf eigene Disposition und seine weitere Entwicklung, Ausweitung und Verwertung in fremde Hände legen soll, so müßte ich, abgesehen davon, daß die Mitarbeit gerade das ist, was ich in erster Linie haben will, nicht der möglichst vorteilhafte Verkauf der Patente, die unbedingte Garantie haben, daß dasselbe seiner vollen Bedeutung entsprechend ausgebeutet wird„, meinte Junkers.10

Rumpler wollte sich jedoch von Junkers beim Bau eines Flugzeuges nach dem Gleitfliegerpatent nicht reinreden lassen: „Herr Rumpler macht geltend, daß Schwierigkeiten entstehen können in dem Fortgang der Arbeit, wenn Js. versäume, rechtzeitig sich zu äußern, und legt Wert darauf, im Interesse der Sache selbständig entscheiden zu können.11Hinzu kam, dass Rumpler selbst forschte und ein ähnliches Patent angemeldet hatte.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 war eine Verwertung des Patentes als Lizenzvergabe ohne praktischen Nachweis der Ausführbarkeit so gut wie unmöglich geworden. Damit es wegen Nichtausführung nicht verfiel, musste Junkers nun selbst daran gehen, ein Flugzeug mit dicken Flügeln zu bauen. Ende September / Anfang Oktober 1914 stellte er ein Arbeitsprogramm für Flugtechnische Aufgaben auf und notierte Überlegungen zu einem Flugzeug als Transportmittel für Personen und Lasten. Als Baustoff kam wegen der leichten Formbarkeit nur Metall in Frage. Da im Kriege das leichte Duralumin für die Luftschiffe gebraucht wurde und daher schwer zu beschaffen war, entschied sich Junkers für das in seiner Badeofenfabrik vorhandene Eisenblech.

Der erste Entwurf, den seine Konstrukteure am 25. März 1915 anfertigten, war eine weitgehende Umsetzung der Leitgedanken des Gleitfliegerpatentes. Es war ein zweisitziger Mitteldecker mit 2 Propellern und 2 Motoren mit je 200 PS. Die Spannweite betrug 14 m, die Länge 5 m. Über den Sitzen war ein durchsichtiges Dach vorgesehen. Die Motoren waren im Flügel untergebracht, die Propeller lagen am hinteren Rand der Tragflächen und die gesamte Form des Flugzeuges zielte auf eine weitgehende Verminderung des Luftwiderstandes hin.

Entwurf Schnelles Metall-Flugzeug vom 25. März 1915

Praktisch umgesetzt werden konnte dieser Entwurf zu dieser Zeit nicht, denn 200-PS-Motoren standen 1915 in Deutschland nicht zur Verfügung. So baute man erst einmal ein einfaches verspannungsloses Flugzeug mit weitgehend verkleidetem Motor, mit dem man im Dezember 1915 den Nachweis erbrachte, dass ein Eindecker aus Metall mit dicken Flügeln sich in die Luft erheben konnte.

Junkers J 1 am 12.12.1915 auf dem Flugplatz Döberitz

Diesem „J 1“ genannten Ganzmetallflugzeug folgten im Laufe des Krieges immer ausgefeiltere Varianten, die ab 1917 auch in Leichtmetall ausgeführt wurden. Allen Militärflugzeugen war jedoch gemeinsam, dass Personen und Fracht im Rumpf und nicht wie im Patent vorgesehen, im Flügel untergebracht waren. Auch die nach dem Kriege entwickelten Verkehrsflugzeuge platzierten Passagiere und Fracht im Rumpf.

F 13 „Annelise“ am 13. Sept. 1919 auf dem Flugplatz DessauF 13 „Annelise“ am 13. Sept. 1919 auf dem Flugplatz Dessau

Aufgegeben hatte man den Traum vom Nurflügelflugzeug bei Junkers so schnell nicht. Im Sommer 1920 projektierte Chefingenieur Otto Reuter ein Großverkehrsflugzeug mit dicken Flügeln, bei dem die vier Motoren in den Tragflächen untergebracht und im Fluge zugänglich sein sollten. Auch ein Schlafraum für die Bedienungsmannschaft sollte im Flügel eingerichtet werden.

Auszug aus dem Entwurf der JG 1

Bereits im September 1920 wurde mit dem Bau dieses JG 1 genannten Flugzeuges begonnen. Im Juni 1921 waren beide Flügel und das Rumpfendstück fertiggestellt, als die Alliierten in Deutschland wegen Nichteinhaltung des Versailler Vertrages ein Flugzeugbauverbot durchsetzten. Die Junkerswerke mussten ihren Flugzeugbau vollständig einstellen, die bisher fertiggestellten Teile der JG 1 wurden auf Geheiß der Alliierten vernichtet.

Im Jahre 1924 wurde nochmals ein Versuch gestartet, die Idee des Gleitfliegerpatentes praktisch umzusetzen. Auf seine Amerikareise nahm Junkers das Modell der J 1000 mit, mit dem ein Etappenflug von Europa nach Amerika möglich werden sollte. Er versuchte, Henry Ford für diesen Gedanken (und eine Mitfinanzierung) zu gewinnen, stieß aber nicht auf Gegenliebe.

Ausgeführt wurde dieser Entwurf nur in Teilen in dem zur damaligen Zeit Großflugzeug G 38 aus dem Jahre 1929. Die G 38 war als kombiniertes Fracht-/Passagierflugzeug konstruiert worden, da sich Junkers zu dieser Zeit vor allem im Frachtflugverkehr große Absatzmöglichkeiten versprach.

Für die Passagiere hatte man in der Flügelnase der Tragflächenwurzel auf jeder Seite sechs Sitze mit hervorragender Aussicht vorgesehen, weitere Passagiersitze waren hinter der Tragfläche im Rumpf untergebracht. Der Frachtraum und der Raum für die Brennstoffbehälter reichten bis in die dicken Flügel hinein, die vier Motoren waren über einen Bedienungsgang im Fluge wartbar.

Da sich die Nachfrage nach Frachttransport zur damaligen Zeit in Grenzen hielt, hingegen die Passagierplätze ständig ausverkauft waren, wurde auch der Frachtraum mit Passagiersitzen versehen und der Rumpf musste später sogar aufgestockt werden. Mehr als zwei Exemplare dieses Verkehrsflugzeuges wurden nicht gebaut, die Kosten waren zu hoch.

Junkers ließ nach der J 1000 noch weitere Projekte ausarbeiten, die in Richtung eines Nurflügel-Flugzeuges zielten, weil er überzeugt war, dass sich nur so ein maximaler Auftrieb und damit beste Ausnutzung der Motorenleistung erzielen ließ. Er musste jedoch bald einsehen, dass so ein Flugzeug keine hohen Geschwindigkeiten erlaubte und es auch sehr schwer zu steuern war. Mit der G 38 war damit der Endpunkt dieser Entwicklung erreicht, nunmehr ging der Trend in Richtung dicker Rumpf mit dünnen Flügeln.12

Prof. Junkers (Mitte) bei der Präsentation der G 38 am 9. Nov. 1929 auf dem Flugplatz Berlin-Tempelhof

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Angelika Hofmann

Quellen:

  1. Junkers, Hugo: Entwurf eines Briefes an Prof. Reissner,- Notizbuch Nr. 46,, Abschrift S. 4-5. – Archiv Bernd Junkers
  2. Patent Nr. 222266 „Gleitfläche für Luft- oder Wasserflugzeuge“
  3. Junkers, Hugo: Eigene Arbeiten auf dem Gebiete des Metall-Flugzeugbaues. – In: Berichte und Abhandlungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt. Sonderdruck, 11. Heft, München 1924, S. 3. – Archiv Bernd Junkers 14/01 und 14/09
  4. Schreiben E. Wergien an Prof. Junkers Aachen vom 11. Dezember 1909. – Archiv Bernd Junkers Nr. 20/11
  5. Hugo Junkers, Notizbuch Nr. 71 – Abschrift S. 9 – 10. – Archiv Bernd Junkers
  6. Aktennotiz, Aachen, 31. Januar 1910. – Archiv Bernd Junkers Nr. 20/11
  7. abgebildet in der Zeitschrift L’aerophile, Heft vom 15. Januar 1908, Seite 31
  8. Schreiben Emil Wergien an das Kaiserliche Patentamt Berlin vom 25. April 1912.- Archiv Bernd Junkers, Nr. 20/11.
  9. Schreiben des Kaiserlichen Patentamtes Berlin vom 30. Mai 1912. – Archiv Bernd Junkers, Nr. 20/11
  10. Notiz Junkers vom 30. Sept. 1913, Notizbuch Nr. 23 S. – Abschrift S. 10 – 11.- Archiv Bernd Junkers
  11. Notiz Junkers vom 21.10.1913 Notizbuch Nr. 24 S. – Abschrift S. 3 – 4. – Archiv Bernd Junkers
  12. siehe Wagner, Wolfgang: Hugo Junkers Pionier der Luftfahrt – seine Flugzeuge, Bonn 1996, S. 300
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