6. November 1929 Junkers

„Ich habe noch niemals ein Verkehrs- oder Militärflugzeug geflogen, welches derart ausgezeichnete Flugeigenschaften aufzuweisen hat.“ Dieses außergewöhnliche Lob von Flugkapitän Otto Brauer gilt einem nicht weniger ungewöhnlichen Flugzeug. Rund 7.000 Stunden und 1,4 Millionen unfallfreie Flugkilometer durfte Brauer die Junkers G 38 in die Atmosphäre entführen.

Es lässt sich leicht vorstellen, welchen Eindruck die Maschine auf ihn beim ersten Zusammentreffen gemacht haben muss – oder auf ihren ersten Piloten: Wilhelm Zimmermann. Man versetze sich in die Zeit um 1929. Der November wird typisch kühl gewesen sein, wohl um die acht Grad Celsius. Morgens schleicht sich der erste Raureif auf die Wiesen und Felder. Bäume recken kahl ihre Köpfe in den zumeist trüben Himmel, der Morgen will nicht mehr so recht erwachen und die Feuchtigkeit zieht durch jede noch so kleine Spalte.

Frontansicht der G 38 auf dem Dessauer Flugplatz

Auf dem Dessauer Flugplatz werden Vorbereitungen für den ersten offiziellen Flug eines neuartigen Mitteldeckers getroffen. Während der Pilot vielleicht noch schnell mit einer Tasse Kaffee die Aufregung hinunter spült, wird die Maschine ausreichend betankt und ein weiteres Mal geprüft. Nichts darf an diesem Tag schief gehen, wenn Hugo Junkers den Realität gewordenen Versuchsträger seiner Vision vom Nurflügler in die Wolken entschweben sehen möchte. Chefpilot und Einflieger Zimmermann nimmt den letzten Check vor. Er nähert sich dem breitschultrigen, etwas unproportional wirkenden Koloss.

Seitenansicht der G 38 auf dem Dessauer Flugplatz

Rund sieben Meter stemmt sich der Silbervogel in die Höhe, nahezu doppelt so hoch wie die deutlich kleineren Vorboten des aufkommenden Weltluftverkehrs. Zimmermann muss ein Stück laufen, wenn er von einer Flügelspitze zur nächsten kommen möchte. Genau genommen 44 Meter. Seine Enkel müssten bei einem 33 Jahre später zu bauenden Airbus A 310 den gleichen Weg zurücklegen. Auf seinem Weg quert er den schlanken, im Verhältnis fast schon filigran gebauten Rumpf. Die beiden Metallschwingen scheinen den Körper mit aller Macht zwischen sich erdrücken zu wollen. Dabei hatte der Konstrukteur Ernst Zindel nur das Konzept von Junkers zum Leben erweckt: Fracht, Personal und Passagiere sollten weitestgehend Platz in den mannshohen Flügelwurzeln finden. Alle nicht dem Auftrieb dienenden Teile wären zu eliminieren – so weit der Stand der Technik dies zuließe.

Und Zindel hat ganze Arbeit geleistet, das dürfte Zimmermann klar sein. Der gerade einmal knapp 21 Meter lange, aerodynamisch geformte Rumpf scheint nur gebaut worden zu sein, um das große Kastenleitwerk aufzunehmen. Beinahe wirkt es, als ob die leicht gepfeilten Tragflächen ihn tragen müssten, statt umgekehrt. Die vier Motoren ducken sich tief in die Flügel, um der Luft möglichst wenig Widerstand zu bieten. Sie werden mit der gewaltigen Kraft von bis zu 2400 PS dafür sorgen, das die Anziehungskräfte der Erde zumindest zeitweise den Gesetzmäßigkeiten der Luftströmungen nachgeben. Zimmermann lässt seinen Blick über die nahen Propeller schweifen, welche ebenfalls ihren Teil zum Jungfernflug beitragen sollen. Abschließend noch das mannshohe Fahrwerk prüfen, welches einen sicheren Start, und hoffentlich eine sanfte Landung des metallisch schimmernden Prachtvogels ermöglichen wird.

Cockpit der G 38

Anschließend kann Zimmermann seinen neuen Arbeitsplatz in Augenschein nehmen. Die großzügig verglaste und ausreichend dimensionierte Glaskanzel bietet dem Piloten hervorragende Übersicht und stellt ihm modernste Instrumente zur Verfügung. Fast könnte man meinen, dass es ein Kinderspiel sei die Maschine zum Abheben zu überreden.

Mit seiner Crew bringt er das in Wellblech gekleidete Synonym für luxuriöses Fernreisen – auf Wunsch auch mit viel Gepäck – in Startposition. Dumpf grollen nacheinander die Motoren auf, ohne jedoch durch dröhnenden Lärm sämtliche Tierwelt im Umkreis in Angst und Schrecken zu versetzen. Gemächlich setzt sich die G38 in Bewegung um Sekunden später erstaunlich ruhig zu entschweben. Etwas mehr als zwanzig Minuten müssen für den ersten Flug reichen. In den nächsten Tagen wird die G 38 ausgiebig zeigen müssen, was sie wirklich kann.

Kabine mit Passagieren in der G 38

Die Presse wird nur wenige Tage später begeisterte Berichte und phantasievolle Titel entwerfen: „Wieder ein deutscher Erfolg!“ lässt Die Welt dann verlauten. „Der fliegende Flügel – Professor Junkers größtes Lebenswerk“ titelt wohl ein anderes Blatt. „Phantasie wurde Wirklichkeit: Der Junkers Raumflügel“ wird der Aufmacher der Leipziger Abendpost sein, während ein viertes Blatt stolz über „Das ‚fliegende Haus‘ der Junkerswerke“ berichtet. Und natürlich wird man auch von den ganz nebenbei aufgestellten vier Weltrekorden schreiben. Letztendlich wird die Begeisterung, welche Zimmermann oder später auch sein Kollege Brauer hautnah erleben dürfen, allerorts in ausgefeilten Worten zu lesen – und damit auch ein kleines Stück zu spüren sein.

Die G 38 auf dem Dessauer Flugplatz

Jan Christiansen

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Weiterführende Informationen:
Junkers G 38
Fliegendes Hotel: Die Junkers G 38

Quellen:

  1. Junkers Nachrichten 1930, No.1
  2. Anhalter Anzeiger vom 3. Februar 1929
  3. Zindel, Ernst: Die technische Bedeutung der Junkers G38 – 8. Januar 1931
  4. Luftschau 1929, Nr. 10
  5. Die Zeit im Spiegel ca. Juli 1931
  6. Schmitt, Günter: Hugo Junkers, ein Leben für die Technik
  7. Wagner, Wolfgang: Hugo Junkers – Pionier der Luftfahrt – seine Flugzeuge

Internet:
de.wikipedia.org/wiki/Junkers_G_38
www.sphynx.de/…g38
www.eads.com/…/junkers_g38
www.power-brauer.de
www.stern.de/…
www.return2style.de/…g38
www.ju-f13.de/…/person
www.luftfahrtmuseum.com/…

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